Nun startet auch die Gruppe F in die EM 2024, unter anderem muss die Türkei gegen Georgien einen Pflicht-Dreier einfahren.
Ex-Dortmund-Kicker Erdal Keser analysiert die türkische Nationalmannschaft, für die er 25 Mal aufgelaufen ist, im Detail. Ist sie wirklich so unberechenbar?
Bei “Beidfüßig” blickt er auf die Stärken und Schwächen, auf wessen Schultern der Druck liegt und wieso eine Ablöse von Stefan Kuntz unvermeidbar war – inklusive Türkei – Georgien Tipp.
Erdal Keser über Türkei: “Personell besser als EM Team 2008”
Erdal Keser über Türkei:
“Man konnte die Türkei in Deutschland tatsächlich nicht so verfolgen. Früher hat man öfter Spiele gegeneinander gehabt. Es liegt aber auch daran, dass die neue Generation am Werk ist. Also die ganzen Spieler, die jetzt schon in die Jahre gekommen sind – selber jetzt Trainer oder Sportdirektor geworden – sind aus dem Kader, die neue Generation ist jetzt am Zug.
Deswegen kennt man diese neue Generation noch nicht so gut, aber sie sind individuell mindestens genau so gut, wie die Mannschaft die bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz so erfolgreich war, im Halbfinale gegen Deutschland. Also personell genauso gut aufgestellt, wenn nicht sogar noch besser. Aber sie ist eben noch eine junge, sich findende Mannschaft – es ist noch nicht alles so eingespielt.
Aber wenn sich jeder in das Uhrwerk eingliedert, ist die Türkei qualitativ aber wirklich eine sehr gute Truppe. Normalerweise erwartet man von ihnen vieles, aber ob das wirklich möglich ist, ist nach den zuletzt gespielten Spielen mit Zweifel behaftet, es hapert noch ein bisschen.”
Keser über türkische Fans:
“Die Fans können Fluch oder Segen sein, das darf man nicht zu hoch bewerten. Man kann sehr schnell auf den Schultern getragen werden, aber in der Türkei auch sehr schnell herunter geworfen werden. Es ist also sehr vom Erfolg abhängig, wie die Mannschaft auftritt, also man will sicher kein Fiasko, dass man ohne Punkte nach Hause fährt.
Es wird jetzt auch am Erfolg des Teams gemessen, ob der Vorstand des Verbandes weitermachen kann, damit verbunden natürlich auch der Nationaltrainer.”
Keser über Trainer Vincenzo Montella:
“Ja absolut (Montellas Handschrift ist sichtbar)! Ich war leider, so muss ich das sagen, als Stefan Kuntz noch dort war, sehr überrascht wie er mit der Mannschaft umgegangen ist.
Er hat das Team geführt, als wäre es eine Jugend-Nationalmannschaft und hat ihnen fast schon die Kompetenz abgesprochen in Interviews und hat sie nicht gerade sicherer gemacht auf dem Spielfeld. Das hat mich sehr überrascht, dass er das mit seiner Erfahrung so hantiert.
Danach hat Montella – der ja auch Erfahrung in der Türkei hat, was von Vorteil ist – die Kurve noch bekommen und die Mannschaft mit Selbstvertrauen bestückt. Dieses Selbstvertrauen ist jetzt natürlich auch sehr wichtig, dass sie das wieder aufs Spielfeld bringen. Weil in den letzten ein bis drei Spielen war das eher holprig. Ich sage, die Türkei ist sehr gut, wenn sie funktioniert – wir müssen abwarten.”
Keser über Geheimfavoriten-Rolle:
“Ja das ist so geheim, dass sie das selbst nicht wissen. (lacht)
Natürlich will man so weit nach vorne kommen wie möglich, erstmal ist das Ziel die Gruppenphase zu überstehen. Das ist aber auch ein Muss, ein Minimum, alles andere wäre in der Gruppe wirklich eine Enttäuschung.
Danach kann man sich auch wirklich in ein Turnier hinein steigern. Und dann ist es ja wie in Österreich und der Schweiz damals, wir haben ja fast in allen europäischen Ländern immer Heimspiele, sind immer stark unterstützt und da kann man sich auch in eine Formkurve reinspielen.
Dass die meisten Tore in der zweiten Halbzeit erzielt werden, zeigt ja, wie sie sich immer zur Schlussphase steigern können, wenn sie vom Publikum gepusht werden. Das ist mit der größte Faktor, dass die Türkei erfolgreich sein kann.”
Keser über mangelnde Chancenauswertung:
“Die Kritik ist total berechtigt, das ist ein Schwachpunkt zurzeit in der türkischen Mannschaft, dass man keinen Knipser hat. Aber man versucht dafür, wie man so schön sagt, einer halben Neun oder einer falschen Zehn zu besetzen, damit mehrere Spieler dafür zuständig sind Tore zu machen.
Kenan Yildiz und Cenk Tosun sind die Spieler, die klassisch im Strafraum sein können. Aber das ist eine Achillesferse des türkischen Fußballs im Moment, die Chancenauswertung, da müssen wir gespannt sein ob das besser laufen kann.
Zum Talent Kenen Yildiz kann man sagen Chapeau, wie er sich entwickelt, aber es gibt noch ein größeres Talent in Arda Güler. Er ist bei Real Madrid jetzt nicht so oft zum Zug gekommen, aber immer wenn er spielt, hat er auch Tolles vollbracht und er ist jetzt in der Position, dass man ihn als Retter sieht um die Mannschaft aus diesem kleinen Loch zu ziehen.”