Zum allerersten Mal treffen sich England und die Niederlande in einer KO-Phase eines Großevents, nun gleich im Duell um das Finale dieser EM 2024.
Im Nations League Halbfinale 2019 trafen die zwei Löwen bereits aufeinander, die Niederlande blieb mit 4:1 siegreich – ein ähnlich klares Spiel erwartet Experte Peter Hyballa auch diesmal.
Der halbe Niederländer und Ex-Coach bei Nijmegen oder Breda, analysiert die Stärke der Oranje, Cody Gakpo, Wout Weghorst und vor allem Coach Ronald Koeman, gibt Einblicke in die Gedankenwelt der Trainer und liefert einen eindeutigen Niederlande – England Tipp.
Peter Hyballa über Niederlande: “Ruhe von Koeman ist der Erfolgsfaktor”
Peter Hyballa über Bart Verbruggen:
“Der Bart Verbruggen war dritter Torhüter bei mir (2020), bei NAC Breda. Da war er 17 oder 18.
Der hat letztes Jahr sogar noch mittrainiert bei mir in Breda (obwohl bei Anderlecht zu diesem Zeitpunkt), weil er sich fit halten wollte, weil er so ein Arbeitstier ist.”
Hyballa über Niederlande & Koeman:
“Erst einmal ist es eine sehr geschlossene Einheit, was Ronald Koeman eigentlich sehr gut macht. Da kannst du immer darüber streiten, wenn man jetzt einmal den Spieler Memphis Depay heraus nimmt und sich fragt: Hat der eine gute EM gespielt, oder eine durchschnittliche? Wieso spielt eigentlich nicht Wout Weghorst?
Aber Koeman macht es halt sehr hierarchisch, er wechselt nicht viel und lässt den Block gut stehen. Dafür bekommt er in den Niederlanden recht viel Kritik, weil Journalisten gehen dann immer auf ein Spiel und sagen der oder der muss spielen, weil der war das letzte Mal gut. Wie auch in Deutschland, wo man fragt wieso spielt Füllkrug nicht, aber Havertz.
Aber Koeman ist so ein erfahrener Trainer, der sagt einfach der Block bleibt und er vertraut den Spielern unheimlich, auch wenn sie eventuell einmal nur eine Schnitt-Leistung bringen. Bei den Niederlanden war immer das Problem, du musst ästhetisch schön spielen. Sie spielen jetzt ja auch ganz ästhetisch, vielleicht nicht wie früher, aber die Cruyff Zeiten sind halt auch vorbei.
Aber sie gewinnen halt und das akzeptieren die Niederländer auch, sie lechzen halt nach dem Pokal. Diese Standfestigkeit und diese Ruhe von Koeman, der in der Hierarchie nicht viel herumwurschtelt, das ist ein ganz großer Erfolgsfaktor – bis jetzt.”
Hyballa über Vergleich van Gaal-Koeman:
“Erst einmal muss ich sagen, ich bin ein riesiger Louis van Gaal-Fan. Ich habe mich auch mit ihm getroffen für Mentoring, wo du ja große Trainer triffst und mit den diskutierst. Da bin ich reingekommen und Louis hat mich erst einmal stramm stehen lassen, mir zwei Minuten in die Augen geblickt und hat dann gesagt ‘Okay, du hast nicht weggesehen, jetzt rede ich mit dir weiter’. Also der hat schon so seine Macken, aber ich mag das und diese harten Coaches, nicht die soften.
Aber Ronald Koeman kommt aus Noord-Holland und die da oben sind halt kühl und cool. Der hat die letzten Jahre auch ein paar Schläge abbekommen hat, mit Barcelona, und jetzt hat er verstanden, wie diese Generation tickt. Und in den Niederlanden hat auch jeder eine Meinung.
Wenn ich in Deutschland den Spielern eine Frage gestellt habe, dann haben die kurz überlegt und dann diskutiert und in den Niederlanden diskutieren alle. Also du musst die Spieler mitnehmen und das macht er sehr gut, auf eine sehr gelassene Art. Früher war er auch etwas unnahbar und wenn du älter wirst, dann lasst du etwas auch einmal gehen und das macht er super.”
Hyballa über Wout Weghorst:
“Erst einmal gibt der Erfolg dem Trainer ja immer Recht. Eventuell ist Weghorst auch so ein Spieler – er hat ja auch so eine Galligkeit, hat eine ganz spezielle Karriere, vor paar Jahren noch Amateur – die sind von der Bank kommend nicht beleidigt und wenn du zum Beispiel Memphis Depay von der Bank bringst, da weiß ich nicht ob der sagt ‘Ja passt, jetzt braucht mich der Trainer’.
Weghorst kommt nicht von der schickimicki Ausbildung, der hat sich da hoch gearbeitet. Und jetzt stehen sie halt im EM Halbfinale und das meine ich auch mit der Hierarchie, Depay ist für diese Offensivgruppe wichtig, denn da sind ja auch viele Freunde zusammen.
In Deutschland gibt es ja viele Laptoptrainer, die schauen immer nur nach Halbräumen, Magnetspieler usw., aber als Trainer brauchst du ein Gefühl, wer ist der Leader? Nimmst du den raus, sprengst du eventuell auch eine ganze Gruppe. Ich glaube da ist Depay mit van Dijk, Ake, Wijnaldum, Bergwijn so eine Gruppe.
Und Weghorst bringt ja auch Leistung wenn er reinkommt. Interessant zu sehen wäre ja auch wie beide zusammen spielen, denn Depay kann ja auch hinter der spitze spielen.”
Hyballa über Cody Gakpo:
“Cody Gakpo hat vor Liverpool bei PSV die Ausbildung gemacht, am Campus De Herdgang, und Eindhoven ist immer sehr Raum-spezifisch. Das heißt Gakpo spielt meistens 10er oder links, aber wenn er links spielt geht er oft auf die 10 und wenn er 10 spielt, geht er oft nach links.
Er hat natürlich eine körperbetonte Spielweise, eine riesen Dynamik und in den letzten 1-2 Jahre hat er diesen First Touch, den ersten Kontakt, viel besser hinbekommen. Wenn er den ersten Kontakt bekommt, zieht er sofort den Raum nach vorne.
Und er spielt effektiv. Früher hat er immer etwas für die Gallerie gespielt und hat gesagt, wenn er drei Chancen hat, ist alles gut. In niederländisch gibt es dieses Wort ‘rendement’, das bedeutet Tore machen, effektiv sein. Und ich glaube das hat er in England noch einmal richtig kapiert, aber auch bei PSV in den letzten Spielen vor dem Wechsel.
Immer durchgestartet, viele Deep Runs, kann aber auch einen Mann ausspielen und hat einen Hammer-Schuss, einen effektiven Schuss. Da ist er unheimlich effizien geworden, etwas was zum Beispiel Musiala noch besser machen könnte. Und da hat er jetzt die Nase vorne.”
Hyballa: “Trainer sind unheimlich ängstlich geworden”
Hyballa erklärt, wieso Teams erst nach Rückstand mitspielen:
“Ja, das ist ja so psychologisch. Stell dir vor du bist total müde und hast keinen Bock, aber plötzlich steht ein Pitpull neben dir und jagt dich. Und auf einmal kannst du rennen. (lacht)
Wenn du in Rückstand gerätst, dann hörst du auf mit dem taktischen Geplänkel, weil dann musst du ja. Bei Fußballern, wenn sie in Rückstand geraten, werden auf einmal die Füße schnell, da gehst du mehr Risiko. Du spielst opportunistischer, das heißt du spielst viel direkter nach vorne, du kämpfst mehr um den zweiten Ball.
Und der Gegner, der 1:0 vorne liegt – wie man auch bei der Türkei gegen die Niederlande gesehen hat – der denkt das wird schon irgendwie halten. Auf einmal steht es 1:1 und die Mannschaft, die den Rückstand aufgeholt hat, die bleibt im Flow. Und die andere Mannschaft ist geschockt.
Als Trainer hast du das ganz oft, du schießt das 1:0, die Spieler jubeln immer so, aber Trainer nicht. Die wissen ganz genau ‘Oh, jetzt wird der Gegner kommen’, egal wie defensiv die Ausrichtung ist.
Ich glaube Trainer sind unheimlich ängstlich geworden. Trainer bekommen ja, und das weiß ich auch durch zig Klubs in zig Ländern, unheimlichen Druck von allen Seiten. Und deshalb ist bei Trainern so ein Gen entstanden, nicht zu verlieren. Erst einmal gut stehen. Aber wenn du 1:0 hinten liegst, dann musst du ja.”
Hyballa über defensive Wechsel bei Führung:
“Es ist immer auch die Frage, was das mit der Positionierung der anderen Spieler macht? Wenn ein Waldemar Anton als Restverteidiger oder Gegenpresser reinkommt? Nagelsmann hat einmal, ich glaube mit Rangnick, diskutiert und eine spannende Aussage getätigt: Auch wenn du dominant bist, verlierst du einmal einen Ball, und dann brauchst du 2-3 hinter dem Ball, die sofort gegenpressen. Weil nur offensive Spieler bringt es ja auch nicht.
Das habe ich früher als junger Trainer immer gemacht, brings du den 5. oder 6. Stürmer und dann stehen sich die alle auf den Füßen und dann wird es auch passiv. Vielleicht war das seine Idee (beim Anton-Wechsel), dass er einen defensiveren Spieler bringt, der aber die Bälle klaut, weil gegen Spanien musst du gutes Gegenpressing haben.”
Hyballa über Niederlande vs. England:
“Ich glaube die Niederlande hat heute Vorteile, weil sie einfach besser sind. Ich glaube sie sind fußballerisch besser, sie haben mehr Lösungen.
Bei England hast du so einen Mittelblock, dann hast du immer mal wieder einen individuellen Spieler. Die Niederlande mit ihren hohen Wingbacks, mit unglaublicher Pass-Sicherheit – die Frage ist, ob sie im letzten Drittel zuschlagen können.
Die ganze Welt denkt jetzt die Niederlande gewinnt und das darf jetzt nicht in so eine Arroganz kommen, das hat der niederländische Fußball auch ganz stark. Wenn sie nicht duellieren, dann ist England mit den schnellen Kontern unheimlich gefährlich.
Insgesamt finde ich die Niederlande aber viel variantenreicher im Spiel, auch von der Bank.”
Hyballa über Virgil van Dijk:
“Er hat ein wenig Tempoprobleme, aber er coacht viel angenehmer. Er coacht die Mittelfeldspieler, hat eine gute Ausstrahlung. Ein erfahrener Spieler sieht die Räume besser, antizipiert und kann besser coachen. Und das ist als Abwehrchef ganz wichtig.
Junge Spieler sind einfach schneller, aber die haben die Erfahrungswerte nicht. Daher finde ich van Dijk gar nicht am stagnieren, sondern er zeigt nochmal, dass er ein Anführer ist und unheimlich wichtig im defensiven und offensiven Kopfball.
Das muss er heute auch bringen, weil England wenn sie nicht mehr wissen wie sie spielen sollen, werden hohe Bälle bringen.”
Hyballa mit seinem Tipp:
“Ich denke natürlich die Niederlande gewinnt. 3:0 Niederlande – Depay, muss jetzt mal, Gakpo, in der 85. wechselt er Weghorst ein und in der 89. macht der das 3:0. Zack!”