Man kann Marinus Bester durchaus als HSV-Legende bezeichnen. Für keinen Verein bestritt er mehr Spiele als die 120 mit der Raute (40 bei den Profis, 80 bei HSV II) und auch danach was er als Team- und Talentemanager 15 Jahre im Verein tätigen.
Daher ist Bester prädestiniert, um den fulminanten Auftakt in die 2. Bundesliga Saison 2024/25 mit dem Kracher HSV gegen 1. FC Köln, zu analysieren. Der 55-Jährige analysiert bei Beidfüßig Davie Selkes Ankunft, die Schwächen im Kader und vor allem in der Psyche.
Marinus Bester über Baumgart: “Schicksal eng verbunden mit Selke”
Wettbasis: Das Auftaktspiel in der 2. Liga ist gleich ein Kracher, nämlich Köln gegen den HSV. Das sind Deutsche Meister und das sind Riesenclubs.
In Hamburg hat sich das Kräfteverhältnis umgekehrt. St. Pauli in der ersten Liga, der HSV nach wie vor in der zweiten. Das ist ähnlich wie in Berlin, da hat Union die Hertha abgelöst. Herr Bester, würden Sie sagen, das spiegelt auch die Kräfteverhältnisse in der Stadt wider?
Marinus Bester: “Grundsätzlich würde ich das so nicht unterschreiben wollen. Eins ist allerdings ganz klar, Pauli hat es in der letzten Saison absolut verdient aufzusteigen. Der HSV hat es dann auch, das war ja die sechste Zweitligasaison, zum sechsten Mal nicht geschafft das Unterhaus wieder zu verlassen und in die 1. Liga aufzusteigen.
Insofern ist das Kräfteverhältnis aktuell so zu bewerten, wie Sie das schon gesagt haben. Gleichwohl merkt man natürlich auch, dass alle Heimspiele des HSV, jetzt auch gerade die Anfangsspiele, ausverkauft sein werden. Also insofern, die Unterstützung des HSV, innerhalb der Stadt und auch aus dem Umfeld, ist ungebrochen.
Und ich glaube, darauf kann der HSV auch aufbauen. Aber ich hoffe, dass es in dieser Saison dann aber auch sportlich endlich mal über die gesamte Saison richtig flutscht und dass der HSV das am Ende dann auch mal schafft, wieder aufzusteigen.”
Es gibt jetzt ein neues Führungsduo, Baumgart als Trainer und Kuntz als Sportvorstand. Glauben Sie, das ist eine Konstellation, die erfolgversprechend ist?
Bester: “Der HSV stand ja in der Vergangenheit nicht gerade für Kontinuität, gerade auf diesen Positionen, auf der Position des Trainers, auf der Position des Sportchefs. Das hat sich geändert mit Jonas Boldt. Fünf Jahre insgesamt hat er die Geschicke beim HSV geleitet, hat auch lange an Tim Walter festgehalten.
Natürlich, wenn der HSV nicht aufsteigt, kann man sich grundsätzlich immer hinstellen und sagen okay, was hat denn nicht gepasst? Und dann kommt man immer schnell zum Trainer und zum Sportchef. Aber ich sehe die Hauptverantwortung ganz klar in der Mannschaft. Die Mannschaft ist so zusammengestellt gewesen, auch in der Vergangenheit, dass man – ich möchte nicht sagen locker hätte aufsteigen müssen, aber wenn die Mannschaft einen aus meiner Sicht besseren Wettkampfcharakter an den Tag gelegt hätte, gerade in den entscheidenden Spielen – es hätte schaffen können.
Ich meine damit nicht die Spiele gegen die unmittelbaren Konkurrenten wie den FC St. Pauli oder anderen Mannschaften, die dann aufsteigen, sondern die Spiele, die man gewinnen muss. Das sind dann die Spiele gegen die Aufsteiger, gegen Mannschaften, die man einfach klar beherrschen muss, wo man vielleicht dann mal darüber nachdenken muss, dass das ein Arbeitssieg war. Aber gerade mit solchen Spielen hat der HSV immer Probleme gehabt und immer auch im letzten letzten Drittel der Saison.
Also insofern, da braucht mir keiner zu erzählen, dass das irgendwie am Sportdirektor liegt, oder am Trainer. Sondern das ist eine Sache, die innerhalb der Mannschaft geregelt werden muss aus meiner Situation. Da müssen sich Spieler hervortun, die das Zepter in die Hand nehmen, die, angefangen in kleinen Trainingsspielen, missmutig werden, wenn sie diese verlieren. Da muss ein anderer Wettkampfcharakter in die Truppe hinein.
Und wenn sie das hinbekommen, dann glaube ich, dass dann mit Sicherheit ein anderer Ausgang für den HSV möglich ist. Dazu muss man dann allerdings auch sagen, das kann ein Trainer natürlich dann auch einfordern und fördern. Baumgart ist dort sicherlich auch noch mal gefordert als Trainer. Wenn ihm das gelingt, dann wird der HSV aufsteigen.
Wenn ihm das nicht gelingt, wird es beim HSV wahrscheinlich wieder so sein, dass vielleicht irgendwann der Trainer wieder gewechselt werden muss. Aber das hat Steffen Baumgart selber in der Hand.”
Wie sehen Sie Steffen Baumgart? Passt der jetzt als Trainer-Figur zum HSV, oder nicht? Was sagen Sie?
Bester: “Da muss ich Sie ein bisschen enttäuschen, denn das kann ich Ihnen jetzt so noch nicht sagen. Ich finde es gut, dass man Steffen Baumgart die Treue gehalten hat und ihm auch eine volle Transferperiode mit an die Hand gibt, damit gewisse Dinge einfach auch umgesetzt werden können.
Man kann es ja schon fast symbolisch so sagen, er hat sich ja sehr für die Verpflichtung von Davie Selke eingesetzt, den er ja schon beim FC Köln trainiert hat. Also insofern ist sein Schicksal wahrscheinlich auch eng verbunden mit der Ankunft von Davie Selke. Wie bringt sich der Selke in das Spiel des HSV ein? Kann er diese Position so ausfüllen wie Robert Glatzel? Können die beiden zusammen spielen?
Das werden die Gretchenfragen, gerade am Anfang der Saison sein, die es zu beantworten gilt. Wenn das gelingt, ist der HSV personell so aufgestellt, dass man voller Hoffnung auf den Aufstieg die Saison bestreiten kann. Wie gesagt, wichtig ist es, dass die Mannschaft erkennt, ich spiele beim HSV, da geht es nur um den Aufstieg, um nichts anderes.
Das muss die Mannschaft endlich mal verinnerlichen. Und dann darf man sich gegen die untere Hälfte der der Liga, die sich dann ja herauskristallisieren wird, nicht so viele Punkte liegen lassen, wie in der letzten Saison.
Ich glaube, da haben wir gegen den VfL Osnabrück sechs Punkte verloren. Wenn man diese sechs Punkte einfach mal hinzuzieht, wäre der HSV aufgestiegen.”
Die Knackpunkte wurden jetzt schon angesprochen. Ist Davie Selke jetzt einer, oder ist er keiner?
Marinus Bester: “Dass Davie Selke seine Stärken hat, das ist unstrittig. Die Frage wird immer sein, so wie er sich gibt, wie er spielt, liefert er natürlich auch viele Punkte der Kritik.
Auch für ihn ist es wichtig, dass er endlich mal in eine Situation kommt, wo er sich ausschließlich auf den Sport konzentriert, alles andere weglässt und dann einfach seine Stärken, die er sicherlich hat, gerade nach nach vorne hin, im Strafraum. Da ist er sicherlich jemand, der dem HSV helfen kann. Obwohl sie da natürlich mit Robert Glatzel über Jahre hinweg jetzt schon jemanden haben, der es einfach nachgewiesen hat, wie man in der 2. Liga erfolgreich als Stürmer zu Werke geht.
Das wird Davie Selke sicherlich auch hinbekommen können. Ist nur die Frage, ob er sich dann darauf auch vollkommen konzentriert und alles andere ausblendet und sich nicht irgendwie auf irgendwelche Sabbeleien einlässt. Wir kennen ja Davie Selke. Natürlich ist er jemand, ein streitbarer Mensch, das muss er aber mal beiseite legen und wenn ihm das gelingt, dann kann die Doppelspitze Selke und Glatzel sicherlich ein Garant dafür sein, dass der HSV aufsteigt.”
Aktuell hat der HSV ein Thema beim Torwart, denn Matheo Raab ist verletzt und wahrscheinlich sogar längerfristig verletzt. Daniel Heuer Fernandes geht ins Tor. Ist das die Nummer eins? Ist das einer, der für Sie auch langfristig da hingehört?
Bester: “Für mich ist Heuer Fernandes klar die Nummer eins beim HSV. Ich habe es seinerzeit nicht verstanden. Klar kann man die Beweggründe auch nachvollziehen, wenn ein Trainer mal einen Torwart-Wechsel herbeiführt, letztlich bin ich aber auch nicht bei jedem Training dabei.
Ich glaube nicht, dass man das einfach so aus der hohlen Hand heraus gemacht hat. Fakt ist, dass die Torwartposition eine ganz entscheidende ist und da braucht ein Torwart das Vertrauen des Trainers. Und ich finde es insofern schade, weil Heuer Fernandes in der letzten Saison, glaube ich, seine allererste Krise überhaupt mal so gehabt hat. Das waren drei, vier Spielen, wir alle erinnern uns sicherlich auch noch an das unglückliche Tor beim FC St. Pauli.
Das hat dann vielleicht, so in seiner Gesamtheit, wo er vielleicht andere Unsicherheiten auch mal an den Tag gelegt hat, ja dann letztlich dazu geführt, dass Raab ins Tor gekommen ist. Für mich, ich kann es nicht nachvollziehen. Für mich ist Heuer Fernandes die klare Nummer eins beim HSV und ich freue mich, dass er jetzt wieder die Chance bekommt.
Natürlich ärgerlich, denn Matheo Raab hat sich jetzt auch nicht richtig viel zu Schulden kommen lassen. Also soll nicht heißen, dass der HSV nicht aufgestiegen ist, weil Matteo Raab im Tor Tor stand. Sondern ich glaube, auf der Torwartposition hat der HSV die geringsten Probleme.”
Auch auf der Rechtsverteidiger Position ist man noch nicht zufrieden.
Bester: “Ja, das ist ja schon eine längere Baustelle. Sehr, sehr lange hat ja Moritz Heyer dort gespielt. Jetzt sind es verschiedene Spieler, die da immer wieder zum Zuge kommen. Meine große Baustelle beim HSV ist aber grundsätzlich immer die Innenverteidigung.
Ich finde es gut, dass Dennis Hadzikadunic beim HSV bleibt. Das finde ich schon mal ganz gut. Wenn der so ein bisschen den Bruder Leichtfuß aus seinem Spiel herausbekommt, ist das ein richtig, richtig guter Spieler für die 2. Liga, der dem HSV auch helfen kann. Dann ist natürlich eine ganz, ganz große Frage, was passiert denn jetzt eigentlich mal mit Mario Vuskovic?
Denn das, was sich der CAS jetzt auch leistet, immer wieder zu verschieben und noch mal den Jungen irgendwie hinzuhalten, das ist ja aus meiner Sicht unmenschlich, wie man so mit jemanden umgehen kann, dessen Sportkarriere wohl auf dem Spiel steht. Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Warum ist der CAS nicht in der Lage, jetzt mal ein Urteil zu fällen, womit dann alle arbeiten können? Also insofern, mit Kapitän Sebastian Schonlau und Hadzikadunic hat es in der letzten Saison auch nicht so geklappt.
Schonlau war verletzungsanfällig, Hadzikadunic ist dann trotz alledem eigentlich immer wieder dabei gewesen und macht dann, wie ich schon mal gesagt, ab und zu mal den Bruder Leichtfuß. Dafür ist er aber auch ein junger Spieler, der lernt sicherlich auch hinzu.
Für mich ist eigentlich die Gretchenfrage, was passiert in der Innenverteidigung beim HSV? Da braucht man Geschwindigkeit, zumindest sehe ich es so, dass die Geschwindigkeit zum Beispiel bei Schonlau nicht die ist, die man eigentlich dafür braucht, um durchbrechende Stürmer dann noch mal einzufangen oder so was.
Für mich ist insofern eigentlich nicht die rechte oder die linke Außenposition die große Frage, sondern die Innenverteidigung beim HSV.”
Was ist Ihre Einschätzung des Spiels? Köln gegen den HSV, das ist ja schon wirklich ein toller Auftakt.
Bester: “Besser geht es ja kaum, als dass zwei solche Traditionsvereine den Auftakt für die 2. Liga spielen. Das ist sicherlich auch ganz bewusst gemacht, von den Spielplaner der DFL, dass man ein solches Spiel gleich zum Anfang hat. Das zieht natürlich viele Leute auch vor dem Fernseher, das Stadion wird ausverkauft sein.
Das merke ich selber bei meinem kleinen Verein. Wir werden uns auch alle zusammenfinden, das Spiel alle gemeinsam gucken. Also da ist das Feld eigentlich gut bestellt. Ich glaube aber, dass es letztlich ein 2:2 geben wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der HSV gewinnt. Wenn man die Vorbereitungsspiele gesehen hat, die Ergebnisse, die Spielweise, dann ist da sicherlich noch viel Potenzial, was der HSV nach oben ausschöpfen muss.
Wie sollte es auch anders sein zum Saisonstart, da kann sicherlich noch nicht alles so richtig zusammenlaufen. Deshalb glaube ich, dass dieses Spiel keinen eindeutigen Sieger hervorbringen wird. Und deshalb tippe ich auf 2:2.”
Und Baumgart kommt zurück nach Köln. Das ist dann noch mal das i-Tüpfelchen auf den Emotionen, die sowieso freigesetzt werden.
Marinus Bester: “Ja, natürlich, klar. Steffen Baumgart ist ein Trainer, der, wie man so schön sagt, aus dem Volk herauskommt, der kein Blatt vor dem Mund nimmt, der offen und ehrlich mit seinen Spielern kommuniziert und auch offen und ehrlich mit den Medien umgeht.
Der sich auch nicht zu schade ist, sich in entscheidenden Momenten vor die Mannschaft zu stellen, aber auch ganz klar benennt, auch in der Öffentlichkeit, wenn ihm irgendwas stinkt innerhalb der Mannschaft. Er ist ein Typ, ein absoluter Typ und deshalb kam er auch bei den Leuten in Köln gut an und ich glaube auch mittlerweile bei den Leuten in Hamburg, da ist es ja immer ein bisschen schwieriger.
Der Norddeutsche fremdelt ja immer erst mal so zu Anfang, der ist nicht so warmherzig und geht Leuten mit offenen Armen entgegen. Aber ich glaube, dass es dem Steffen schon gelungen ist, die Herzen der Hamburger zu erreichen. Wie ich es aber auch ganz am Anfang schon gesagt habe, er muss sie durch Leistung überzeugen, und da muss er es schnell hinbekommen, den HSV auf Spur zu bringen und alle negativen Erfahrung aus der letzten Saison, oder aus den letzten Spielzeiten natürlich, umdrehen.
Gerade im letzten Drittel der Saison muss der HSV einfach auch nochmal abliefern gegen Mannschaften, gegen die man einfach gewinnen muss, wenn man oben dabei sein will. Und wenn man aufsteigen will.”