Im Sandkasten immer die kleinere Schaufel zu bekommen, nicht bestimmen zu dürfen, ob man die Indianer-Figuren oder die Cowboys spielt, bei Zeiten die neue Packung Ketchup holen zu müssen, im kleineren der beiden Kinderzimmer wohnen zu müssen, beim ersten Computerspiel nur zugucken zu dürfen, beim Kirschenpflücken in Nachbars Garten Schmiere stehen zu müssen, zu Hause bleiben zu müssen, um auf den Hund aufzupassen und beim Fußball immer nur Schiedsrichter sein zu dürfen: Einen großen Bruder zu haben mag Vorteile haben, die unzähligen Nachteile hält das Leben einem jedoch in solider Regelmäßigkeit vor.
Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat in überzeugender Art und Weise die Qualifikation für die Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine gemeistert. Durch einem hohen Heimsieg gegen Österreich (6:2) konnte man die günsigen Ergebnisse der Konkurrenz nutzen, um die Fahrkarte für das nächste große Turnier frühzeitig lösen zu können. Acht Siege in acht Spielen sprechen eine deutliche Sprache. Man hat nicht gegen die Elite Europas antreten müssen, jedoch kann auch nicht von Laufkundschaft gesprochen werden. “Wenn ich sehe, was andere teilweise für grottige Gruppengegner bekommen haben, dann frage ich mich, wie es die Presse schafft, Spannung in die Begegnungen zu heucheln”, sagte Guido. In der Tat ist die deutsche Bilanz sehenswert. Sie ist allerdings kein Anlass sich aus dem Fenster zu lehnen.
“Die Qualifikation ist ja schön und gut, ernst wird das Ganze aber erst später”, sagte Guido und fügte hinzu, “wir sollten nicht vergessen, dass eine Europameisterschaft deutlich schwieriger zu spielen ist, als eine Weltmeisterschaft. Es gibt weniger gesetzte Mannschaften, die Qualität der Gruppengegner ist aufgrund der Dichte der Mannschaften viel höher, was dazu führt, dass man sich eben nicht gegen Saudi Arabien und Honduras einschießen kann.” Gerade die deutsche Mannschaft hat sich als sogenannte Turniermannschaft tendentiell darauf spezialisiert Turnierbeginne zu verschlafen. Bei der Europameisterschaft könnten solche Patzer in der frühen Phase zum sofortigen Aus führen.
Man muss unsere Situation realistisch sehen: Deutschland ist in Europa maximal die Nummer zwei. Wir werden auch in dieser Edition wieder auf einen Ausrutscher der Spanier warten müssen, oder, lieber Herr Kroos, die Chancen, die sich uns bieten nutzen und, lieber Herr Löw, die bescheuerte Raumdeckung bei Eckbällen aufgeben. Ich habe noch ein Zitat von Guido im Kopf, das kurz nach dem Ausscheiden entstanden ist: “Raumdeckung bei Eckbällen ist wie Diktatur bei der Politik: Funktioniert nur in der Theorie.”
Doch zurück zum Thema: Deutschland steht bei dem kommenden Turnier hinter Spanien – und in der FIFA-Wertung noch hinter den Niederlanden. Da es bei einer Europameisterschaft nur vier Gruppen gibt und bei zwei Ausrichterländern die Hälfte der Gruppenköpfe bereits vergeben sind, droht Deutschland Topf Zwei. Doch droht der wirklich?
Deutschland wird sportlich gesehen nur mit einer makellosen Bilanz und einigen Punktverlusten der Niederlande bei der Europameisterschaft gesetzt werden. Es liegt nicht in der eigenen Hand und die Gruppengegner der Holländer erscheinen nicht furchterschreckend. Es ist außerdem fraglich, wie gut es sein wird, bei dieser EM gesetzt zu sein.
Rein theoretisch wird es zwei Gruppenköpfe geben, die man – auch wenn sie gastgebend sind – sportlich gesehen gerne in seiner Gruppe wiederfindet: Polen und die Ukraine. Im zweiten Topf würde man vermutlich England, Italien, Deutschland/Niederlande und Portugal finden. Wenn man sich nun selbst im zweiten Topf wiederfindet bekommt man aus dem dritten und vierten Topf entsprechende Gegner und hat einen 50% Chance zu einem soliden Gruppenkopf gelost zu werden. Andererseits würde man als Gruppenkopf vor dem zweiten Topf zittern müssen, da man obengenannte vermutlich vermeiden will und weiterhin das Risiko haben in Topf Drei und Vier eine Monstergruppe zu komplettieren. “Da man sowieso einen schweren Gegner aus Topf Zwei bekommt muss es das Ziel sein wenigstens die 50% Chance auf einen einfachen Gegner aus Topf Eins zu sichern”, resümierte Guido mit Blick auf die nächste deutsche Niederlage.
Es scheint also ratsam zu sein, sich auch als großer Bruder zeitweise einordnen zu können.