Bei Guidos Guide geht es bei gegebenen Anlässen um die Bundesliga, den internationalen Fußball, sowie um aktuelle Stammtischthemen, die sich mit dem Lederball beschäftigen. Und natürlich um Guidos Meinung.
Guido und ich sehen uns selten im Jahr. Verglichen mit der Anzahl unserer Treffen ist die Anzahl der Fußballspiele, die wir zusammen schauen jedoch sehr hoch. Obwohl sich unsere Lebenswege nach der Schule getrennt haben, hält uns doch etwas zusammen. Immer wenn wir uns wieder sehen, fühlt es sich an als würde man weiterhin tagtäglich in Mathe in der letzten Reihe sitzen und den eingeschlafenen Thomas mit Papierbällchen abwerfen.
Gestern Abend war es wieder soweit. Bei nasskaltem Wetter hatten sich mit uns etwa 35 Zuschauer auf die Sportanlage des Lokalmatadors in der Nähe unseres ehemaligen Gymnasiums verirrt. Die Saison ist beinahe zu Ende und auch in der Kreisliga A geben sich die Mannschaften im Mittelfeld der Tabelle nicht mehr die letzte Mühe. Auch wenn in der Kreisliga A ohnehin die meisten Mannschaften aus der Umgebung kommen, hätte man dieses Spiel ohne weiteres als Lokalderby titulieren können. Guido meinte, die beiden Sportanlagen würden maximal 10 km auseinander liegen. Einem Fernfahrer vermochte ich da nicht zu wiedersprechen.
“Eigentlich ist es eine Sünde Fußball vor dem Fernseher zu schauen, man muss nah dran sein, direkt am Spielfeld. Man muss das Gras riechen können.”, sagte Guido als wir uns vor der Sportanlage getroffen hatten. Der Geruch des Grases hatte sich erübrigt, als wir im Gespräch mit dem Kassenwart herausfanden, dass die Begegnung wegen der Witterungsbedingungen auf dem Ascheplatz stattfinden würde.
“Wofür haben die eigentlich den Rasenplatz, wenn sie nicht mal im Mai darauf spielen?”, sagte Guido sichtlich gekränkt. Mit dem Auflaufen der beiden Mannschaften fand unsere Laune zurück zum gewohnten Level.
“Meinst du die Dortmunder können den Ausfall von Götze kompensieren?”, fragte ich einen Quereinstieg in das Thema wählend.
“Ohne Götze ist es natürlich etwas anderes. Doch Klopp muss den Ausfall von Götze die gesamte nächste Saison ersetzen, da kann er jetzt schon mal anfangen.”, antwortete Guido.
“Meinst du er zieht Lewandowski auf die Zehn und spielt dann mit Schieber im Sturm?”, fragte ich. Unser Gespräch wurde von einer üblen Grätsche des heimischen Außenverteidigers unterbrochen. Dass der Verteidiger den Ball gespielt hatte, wie Guido es zu erkennen gab, in dem er die Arme mit einer Einwurf-Gestik über dem Kopf bewegte, hatte ein Rentner, der zweifelsohne für die andere Mannschaft war, anders gesehen.
“Das glaube ich nicht. Das würde ich sogar für einen schweren Fehler seitens des Trainers halten. Man hat spätestens in den letzten Wochen gesehen, dass Schieber zwar ein ordentlich Fußballer ist, aber seine Spielanlage in keinster Weise mit den Kollegen mithalten kann. Schieber bedeutet immer Qualitätsverlust für den BVB. Wir sprechen hier zwar über ein hohes Niveau, aber es bleibt Qualitätsverlust. Ich denke, er wird Gündogan oder Sahin auf die Zehn ziehen und dann wie gehabt mit Lewandowski, Reus und Kuba spielen. Mal sehen, ob Hummels spielen kann.”, sagte Guido. Der Disput zwischen Guido und dem Rentner war im vollen Gange und nahezu jede Situation, die über unsere Seite ging, wurde lautstark ausdiskutiert.
“Das würde mich sehr wundern, wenn Hummels nicht spielen könnte. Der Mann hat Probleme im Sprunggelenk vor dem Champions League Finale. Da wird gespritzt und gut getaped und dann ist die Sache gegessen. Ein guter Physiotherapeut macht bei so einer Dehnung einen Verband, der den Spieler nicht einschränkt – zumindest keinen Abwehrspieler.”, sagte ich. Der besagte Außenverteidiger hatte mittlerweile eine Elfmeter verschuldet, der so offensichtlich zu sein schien, dass selbst Guido und ich keine Argumente gegen den Pfiff fanden. Das Elfmeter-Tor, welches durch dominante Gesten des gegnerischen Rentners begleitet wurde, bildete zugleich den Halbzeitstand.
“Wem gönnst du eigentlich den Sieg am Wochenende?”, fragte ich zu Beginn der zweiten Halbzeit.
“Das ist schwierig. Die Dortmunder werden in den nächsten Jahren vermutlich nicht wieder die Chance bekommen, deshalb würde ich es ihnen mehr gönnen. Eigentlich kann ich es nicht ausstehen, wenn die Bayern gewinnen, doch die Courage von Bastian Schweinsteiger hat es mir angetan. Abgesehen von der ganzen Geschichte um Jupp Heynckes, finde ich, dass Schweinsteiger es am meisten verdient. Der Mann hat im eigenen Stadion beim Elfmeterschießen vergeben und führt seine Mannschaft in der nächsten Saison wieder ins Finale. Das ist stark. Manch einer wäre nach so einer Erfahrung in ein Loch gefallen.”, sagte Guido. Das Niveau des Spiels nahm in der zweiten Halbzeit nochmal deutlich ab. Das war wohl vor allem dem immer schlechter werdenden Wetter geschuldet. Der Platz schlammte langsam ein und die meisten der 35 Zuschauer hatten sich unter das Vordach des kleinen Vereinsheims gequetscht. Der Außenverteidiger spielte zwar nun auf der anderen Seite, doch der gegnerische Rentner und wir waren auch im strömenden Regen der zweiten Halbzeit nicht von unseren Plätzen gewichen und lehnten weiterhin an dem Platz der Umrandung, den jeder für sich mit dem Körper trocken hielt.
“Wo guckst du das Spiel eigentlich?”, fragte ich.
“Ich bin in England”, antworte Guido sofort.
“Ach was, wie kommt das?”, fragte ich.
“Ich bin leider beruflich in England. Ich muss nach Birmingham fahren. Werde das Spiel wohl in irgendeinem Pub gucken – immerhin stehe ich dann schon als einziger Gewinner fest.”, sagte Guido mit einem Grinsen. Die zweite Halbzeit blieb weitesgehend ereignislos. Die Bedingungen taten ihr Übriges. In der Nachspielzeit gab der Schiedsrichter nach einem Pressschlag einen umstrittenen Eckball. Weder wir noch der Renter einige Meter neben uns konnten auf die Entfernung hin erkennen, wer wirklich zuletzt am Ball gewesen war. Der Rentner war sich trotzdem sicher erkannt zu haben, dass es keine Ecke gegen seine Mannschaft hätte geben dürfen. Wir hielten mit ähnlichem Halbwissen dagegen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, ob der anschließenden Kopfballtreffer des Außenverteidiger aus der ersten Halbzeit für mehr Euphorie bei den Spielern oder bei uns sorgte. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass wir nach dem kurz darauf folgenden Abpiff dem Renter die nasse Hand gaben und ich uns, als der Rentner dem diskussionsbereiten Guido angedeutet hatte, es wäre nie und nimmer eine Ecke gegeben, die “Nummer 3” hätte sich klar aufgestützt und hätte sowieso schon in der ersten Halbzeit vom Platz gemusst, schnell verabschiedete, um dem strömenden Regen zu entkommen.
Geblendet von den Emotionen der letzten Minuten sagte Guido zu mir auf dem Parkplatz: “Wenn das am Wochenende nur halb so gut wird, wie hier, dann werde ich auch in Birmingham den Wembley-Rasen riechen können.”.