Seit Juni 2020 trainiert Jean-Pierre Papin den Viertligisten FC Chartres (eine Stunde Autofahrt südlich von Paris), doch demnächst wird er wohl seine Koffer packen und eine spektakuläre Rückkehr bei Olympique Marseille feiern.
Nachdem er dort als Spieler durch seine zahlreichen Treffer zur Legende wurde, ist er in der Provence wahnsinnig beliebt. Nun möchte ihn OM-Präsident Pablo Longoria als strategischen Berater im sportlichen Bereich installieren.
Bevor er seine Entscheidung trifft, sprach Papin mit Wettbasis über den anstehenden Champions-League-Knaller von Marseille bei der Frankfurter Eintracht am kommenden Mittwoch, über die Entwicklung beim FC Bayern – ein weiterer Ex-Verein – und wie sein Urteil zu seinen Landsleuten in der bayrischen Landeshauptstadt ausfällt.
Diese reisen immerhin als Titelverteidiger und Favorit zur WM…
Wettbasis: Monsieur Papin, kann man an diesem Mittwoch von einem Endspiel um Platz zwei zwischen Eintracht Frankfurt und Olympique Marseille sprechen?
Jean-Pierre Papin: “Es sieht danach aus, auch wenn Sporting Lissabon nach wie vor Chancen auf Minimum Platz zwei hat. Seit dem ersten Spiel in Marseille, als die Frankfurter abgeklärter und souveräner agiert haben und OM einen rabenschwarzen Tag erwischt hatte, hat sich bei beiden Teams einiges getan.
Frankfurt hat sich in der Bundesliga stabilisiert, dafür haben sie sich aber in der Königsklasse relativ schlecht verkauft und stehen nun als Tabellenletzter mit dem Rücken zur Wand. Dagegen hat Olympique mit beiden Dreiern gegen Sporting zuletzt überrascht und dabei viel Charakter gezeigt.”
Was für ein Match kann man nun in Frankfurt erwarten?
“Es wird sehr interessant, weil beide Teams den Sieg eigentlich unbedingt brauchen. Ein Remis wird keinem wirklich weiterhelfen. Insofern ist ein offenes Spiel zu erwarten, mit viel Intensität und hart geführten Zweikämpfen. Die Eintracht kann natürlich vor heimischer Kulisse über sich hinauswachsen, aber sollten die Marseillais in Führung gehen, wird es schwer für den amtierenden Europa-League-Sieger zurück zu kommen, weil OM sehr gut verteidigt und schwer zu besiegen ist.”
Wie sehen Sie den FC Bayern im Herbst 2022?
“Zwar hat der deutsche Rekordmeister ein paar Spiele in der Bundesliga verloren und wirkte weniger souverän als üblich, aber wenn es darauf ankommt, sind sie eben da, wie etwa jedes Mal in der Champions League, wo sie einfach liefern. Sie kommen mit dem Druck immer gut klar.
Am besten spielt der FC Bayern wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. Wenn die Spieler alle wieder fit sind, wird Bayern München noch ausbalancierter und dominanter auftreten. Wenn sie bei Ballverlust, bzw. bei gegnerischen Kontern, weniger zulassen als in den vergangenen Wochen, wovon ich ausgehe, wird dieses Team schwer zu schlagen sein. Ich sehe sie sogar in der Champions League weit kommen.”
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Was halten Sie von der gesamten Arbeit von Julian Nagelsmann?
“Er ist noch ein sehr junger Trainer, er wirkt aber bereits gefestigt und sehr selbstbewusst. Ich finde es klasse, dass er dermaßen offensiv spielen lässt. Er ist mutig und er wird seinen Weg gehen. Obwohl der Druck wahnsinnig groß, ist er stets cool und souverän. Nun wird man sehen wie weit er in seiner Entwicklung ist, wenn es darauf ankommt seine Elf bestens vorzubereiten und die beste Elf für die entscheidenden europäischen Duelle aufs Feld zu schicken.”
Welchen Blick werfen Sie auf die Entwicklung der Bayern in den letzten 25 Jahren?
“Ich bin alles andere als überrascht, dass der FC Bayern sportlich wie finanziell so gut dasteht. Seit mehreren Jahrzehnten herrscht Perfektionismus an der Säbenerstrasse. Die Bosse haben immer alles wunderbar antizipiert, sei es die Infrastruktur, die wirtschaftliche Basis oder die sportliche Entwicklung. Das ist ihre DNA, immer den maximalen Erfolg anzustreben. Und der Generationswechsel bei den Vereinsoberen von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zu Herbert Hainer und Oliver Kahn ist tadellos abgelaufen. Hut ab.”
Ihr Landsmann Dayot Upamecano hat in der vergangenen Saison immer wieder für ein paar krasse Patzer gesorgt, bevor er sich zuletzt eher stabilisieren konnte. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
“Man muss den Upa definitiv Zeit geben und ihn weiterhin das Vertrauen schenken. Der Junge ist erst 23 Jahre alt und er hinterlässt gerade einen stärkeren Eindruck als noch vor wenigen Monaten. Er kommt nun immer besser in den Rhythmus und kann sein Potenzial besser ausschöpfen.”
Was ist mit Lucas Hernandez?
“Schade, dass er so oft verletzt ist. Zuletzt gegen den FC Barcelona in der Champions League hat er überragend gespielt. Robert Lewandowski hatte gegen ihn große Mühe. Lucas ist auf einem guten Weg, in München eine unumstrittene Größe in der Innenverteidigung zu werden.”
Und Kingsley Coman?
“Ein überragender Spieler, extrem schnell, beidfüßig und dribbelstark. Scheinbar hat ihm sein Treffer gegen Paris Saint Germain im Champions-League-Finale 2020 richtig gut getan. Seitdem wirkt er befreiter und unberechenbarer in seinem Spiel.”
Wie schätzen Sie Bayerns Chancen in der Königsklasse in dieser Saison ein?
“Erst einmal halte ich es für eminent wichtig, dass die Bayern mit dieser Dominanz in der sogenannten Todesgruppe mit Inter Mailand und Barcelona ein Zeichen gesetzt haben. Mit Real Madrid ist der FC Bayern das einzige Team, das den englischen Klubs weiterhin Paroli bieten kann. Diese Teams im Halbfinale zu sehen, wäre in meinen Augen keine große Überraschung.”
Interview: Alexis Menuge