Vor 18 Jahren feierte Johan Micoud mit Werder Bremen das Double aus Meisterschaft und DFB Pokal.
Seit er 2008 nach einem letzten Abenteuer bei Girondins Bordeaux seine Schuhe an den Nagel hing, versuchte sich der ehemalige “Kaiser von der Weser” als TV-Experten und kommentierte unter anderem die Champions League für den Pay-TV-Sender Canal Plus.
Heute ist er der Star-Experte bei “L’Equipe TV” und wenn er zu Hause in Bordeaux ist, kümmert er sich um Weine. Er wurde gar zum Winzer. Alexis Menuge hat ihn für Wettbasis zum Interview gebeten.
Johan Micoud über Bayern-Dominanz: “Kein gutes Zeichen für Zukunft”
Wettbasis: Monsieur Micoud, wie erklären Sie, dass die Bayern die Liga seit zehn Jahren dermaßen dominieren?
Johan Micoud: “Sie haben sportlich wie wirtschaftlich die besten Möglichkeiten. Aber mir imponiert besonders der unbedingte Wille jedes Spiel gewinnen zu wollen, egal wie der Gegner heißt. Sie sind nie satt und diese Mentalität ist eindrucksvoll.
Und sobald die Münchner Bosse einen starken Spieler bei einem anderen Bundesligisten sehen, greifen sie auf dem Transfermarkt meistens zu. Das ist die Politik des deutschen Rekordmeisters seit vielen Jahren, sodass sie die ärgsten Konkurrenten immer wieder schwächen, wie im vergangenen Sommer bei RB Leipzig, als man den Trainer (Julian Nagelsmann), den Kapitän (Marcel Sabitzer) und den Abwehrchef (Dayot Upamecano) verpflichten konnte.”
Wird Bayern also auch 2023, 2024 und 2025 deutscher Meister?
“Sie werden wahrscheinlich weiterhin so arbeiten und deswegen ist es schwer vorstellbar, dass demnächst eine andere Mannschaft Meister werden könnte. Auch wenn es eng werden sollte, haben die Münchner oft das letzte Wort, weil sie mit dem Druck besser umgehen als die anderen Teams. Das ist Fakt.
Ich habe auch das Gefühl, dass der Abstand zu Dortmund, Leipzig und Leverkusen immer größer wird. In dieser Saison waren die Münchner nicht wahnsinnig beeindruckend, sie haben sogar mal geschwächelt, aber der BVB war nie in der Lage sie richtig zu gefährden. Das ist kein gutes Zeichen für die kurzfristige, aber auch mittelfristige Zukunft.”
Welches Image genießt die Bundesliga generell, aber auch ein Top-Spiel wie der Klassiker zwischen Bayern München und Borussia Dortmund in Frankreich, wenn Sie mit Duellen wie Real Madrid gegen den Barcelona oder Liverpool gegen Manchester City vergleichen würden?
“Ich persönlich möchte dieses Duell nie verpassen, weil zwischen den Münchnern und den Dortmundern immer was verrückt passiert und es nie 0:0 ausgeht. Bei den anderen Klassikern ist man eher öfter enttäuscht.”
Johan Micoud alle Vereine im Überblick
Verfolgen Sie weiterhin das Geschehen bei Ihrem Ex-Verein Werder Bremen?
“Selbstverständlich. Ich habe registriert, dass Werder demnächst wieder in die Bundesliga aufsteigen könnte. Ich drücke Bremen die Daumen, dass die Rückkehr ins Oberhaus sofort gelingt, weil Werder einfach in die Bundesliga gehört.”
Haben Sie zuletzt die Spiele in der 2. Bundesliga verfolgen können?
“Leider nicht. In Frankreich gibt es keine Möglichkeit die 2. Bundesliga im TV zu verfolgen, aber ich bleibe dran, indem ich die Ergebnisse immer verfolge. Deswegen hoffe ich sehr auf den Aufstieg nachdem es im Winter längere Zeit nicht danach aussah.
Dann könnte ich jede Partie in voller Länge verfolgen und mit einem leckeren Pils vor dem Fernsehen Werder die Daumen drücken.”
Ihr ehemaliger Mannschaftskollege Frank Baumann ist beim SVW inzwischen der Geschäftsführer Sport. Wie sehen Sie aus der Ferne seine Arbeit?
“Erst einmal bin ich nicht wirklich überrascht, dass Frank zum Geschäftsführer aufgestiegen ist. Bereits als Spieler war er stets geradlinig, bodenständig und extrem professionell. Er hat nichts dem Zufall überlassen. Er war bereits als Spieler irgendwie detailversessen.
Er ist seht intelligent und besonnen, wie der ganze Verein und die Region. Mit ihm als Chef wird sich Werder wieder in der Bundesliga etablieren können, daran habe ich gar keine Zweifel. Ich finde eh großartig, dass man bei Werder auf ehemalige Spieler im Vorstand baut.”
Was meinen Sie genau?
“In den französischen Klubs bedaure ich immer wieder, dass man so gut wie nie bei den Verantwortlichen auf Ex-Spieler setzt, die eine wichtige Funktion im Verein übernehmen und von ihrer langen Erfahrung als Spieler den Verein profitieren lassen könnten.
Aber wenn ich sehe wie der FC Bayern München seit mittlerweile mehreren Jahrzehnten funktioniert, mit fast ausschließlich ehemaligen großen Spielern auf allen Ebenen. Oder wie nun Borussia Dortmund, dann finde ich, dass sie alles richtig machen. Auch Werder ist in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel.”
Aus welchen Gründen bleiben Sie Werder dermaßen verbunden?
“Ich hatte an der Weser zwischen 2002 und 2006 eine wunderbare Zeit. Dort konnte ich mein Potenzial am besten ausschöpfen, auch weil ich jederzeit das volle Vertrauen von Thomas Schaaf und seines Trainerstabs spüren konnte.
Der Zusammenhalt mit den anderen Spielern war auch sehr groß. Mit dieser offensiven und attraktiven Spiel-Ausrichtung war ich wahnsinnig glücklich.”
Welche Erinnerungen haben Sie besonders an die Duelle gegen Bayern München?
“Es war eher David gegen Goliath, weil wir noch relativ jung waren und die Bayern bereits zu den Besten in Europa gehörten. Wir hatten aber vor dem Rekordmeister nie Angst.
Wir sind mit viel Mut und Unbekümmertheit aufgetreten. Jedes Mal war es unser Ziel, Bayern zu schlagen. Es ist uns sogar ein paar Mal gelungen.”
Glauben Sie an ein rein deutsches Endspiel in der Europa League am 18. Mai?
“Ea sieht nach den Hinspielen richtig gut aus. RB Leipzig wird es wohl am einfachsten haben, weil sie eh auswärts besser abschneiden als vor heimischer Kulisse, auch wenn die Stimmung im Ibrox mit Sicherheit sehr laut sein wird.
Und die Eintracht muss noch einen heißen Fight vor ihren Fans liefern. Der Sieg bei West Ham war bereits ein Meilenstein, aber sie sind noch nicht durch. Trotzdem gehe ich davon aus, mit diesen leidenschaftlichen Anhängern als 12. Mann im Rücken, dass die Frankfurter das deutsche Finale perfekt machen werden.”
In der Champions League überragt Karim Benzema in den letzten Wochen bei Real Madrid. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
“Er ist heute der beste Stürmer der Welt. Seine Entwicklung in den vergangenen Monaten ist, mit bereits 33 Jahren, einfach phänomenal. Er ist der kompletteste Spieler weltweit.
Ich sehe bei ihm gar keine Schwäche. Was mir aber noch mehr imponiert: Seine Genauigkeit in seinen Gesten, er macht kaum Abspielfehler, er ist wahnsinnig eiskalt vor dem gegnerischer Tor, er hat eine wunderbare Mentalität, in dem er immer gewinnen will und das Maximum anstrebt.
Karim ist gleichzeitig Vollstrecker und mannschaftsdienlich. Er hat bereits vier Mal die Königsklasse gewonnen, aber er will noch höher hinaus. Wenn er wieder einen guten Tag gegen City im Rückspiel erwischt, wird es für die Citizens richtig schwer ins Finale zu kommen.
Und was wird aus Kylian Mbappe? Glauben Sie, dass er bei PSG verlängern wird oder eher, dass er zu Real Madrid wechselt?
“Für den französischen Fußball hoffe ich sehr, dass er noch ein oder zwei Jahre der Ligue 1 erhalten bleibt. Auch er ist in einer bestechenden Form und ich weiß wirklich nicht, wo PSG ohne ihn stünde. Aber sollte er tatsächlich zu Real wechseln, würde er mit Benzema das wohl beste Sturm-Duo der Welt bilden.”
Interview: Alexis Menuge