Es gibt wohl kaum einen Co-Trainer in Deutschland, der auf eine erfolgreichere Vita zurückblicken kann als Michael Henke. Neben zahlreichen Bundesliga- und Pokal-Titeln, konnte er neben Ottmar Hitzfeld gleich zwei Champions-League-Triumphe zelebrieren.
Allen voran natürlich jener mit Borussia Dortmund 1997 gegen das übermächtige Juventus Turin. Ein Erfolg, den der BVB im jahr 2024 gegen Real Madrid natürlich replizieren möchte.
Bei Beidfüßig analysiert Henke das anstehende Duell im Detail, blickt auf die Parallelen zum damaligen Team, vergleicht die Spieler und erklärt, wieso er Real Madrid für überbewertet hält.
Michael Henke über BVB: “Sehe Außenseiterrolle nicht so deutlich”
Wettbasis: Es gibt große Spiele und dann gibt es die größten Spiele. Zweiteres ist mit Sicherheit das Champions League Finale, dann noch in Wembley, einem mythischen Stadion. Borussia Dortmund gegen die Königlichen. Hallo, Michael Henke.
Michael Henke: “Hallo.”
Herr Henke, Sie haben zweimal die Champions League gewonnen. Einmal mit dem BVB 1997, dann auch mit den Bayern 2001. Das sind doch mit Sicherheit Ereignisse, die für immer in Erinnerung bleiben.
Henke: “Auf jeden Fall. Das war und ist immer noch eine gigantische Erinnerung. Das war ein sensationelles Erlebnis, mit ein paar Parallelen zu heute auch.
Auch damals war Dortmund nicht der Favorit. Juventus Turin war der haushohe Favorit damals. So ähnlich kommt es ja jetzt auch rüber, beim Spiel gegen Real Madrid. Die Vorzeichen sind ein bisschen vergleichbar.
Klar, die Zeiten haben sich verändert, das Endspiel war damals in Deutschland, in München, jetzt ist es in London. Ein größeres Spiel, Borussia Dortmund gegen Real Madrid, kann ich mir im Moment nicht vorstellen.”
Sie haben es schon angesprochen, auch damals, 1997, war Borussia Dortmund der krasser Außenseiter gegen Juventus und stand auch nur im Mittelfeld der Tabelle in der Bundesliga. Wie geht man dann dieses Endspiel an? Da Sie jetzt den Vergleich schon gezogen haben, was für positive Lehren kann man ziehen?
Henke: “Eigentlich ist es ja eine wunderbare Ausgangsposition, wenn man nur gewinnen kann. Das war tatsächlich damals so, es spielten uns ein paar Dinge in die Karten, wo ich heute noch davon überzeugt bin, dass uns das unheimlich geholfen hat.
Zum Beispiel habe ich Juventus in Bergamo beobachtet. Vier Tage vorher sind sie italienischer Meister geworden und haben gefeiert. Und dann spielten sie gegen den Außenseiter, in gewisser Weise eine No-Name-Mannschaft, Borussia Dortmund. Das hat uns, was den Fokus auch von Juventus anging, unheimlich geholfen, so dass wir die Mannschaft ein bisschen überraschen konnten.
Ich glaube aber, dass das jetzt in London nicht so passiert, denn Real Madrid weiß schon, mit wem sie es jetzt – mit Borussia Dortmund – zu tun haben. Ich sehe die Außenseiterrolle von Borussia auch nicht so deutlich, wie sie überall in den Medien dargestellt wird.”
Welche Learnings würden Sie jetzt eins zu eins übersetzen? Was habt ihr damals gemacht, was Sie heute auch machen würden?
Henke: “Uns war die Situation schon bekannt und wir haben bei der Mannschaft darauf appelliert, dass wir diesen Überraschungseffekt ausnutzen müssen, indem wir unbedingt intensiv und aggressiv spielen müssen.
Damit wir diese Mannschaft, die einfach besser war zu dem Zeitpunkt, nicht ins Spiel kommen lassen dürfen und dementsprechend haben wir auch einen hohen Aufwand betrieben, aber konnten dann auch vor allem durch die Tore Juventus überraschen.
Und so ähnlich müsste das Borussia auch versuchen.”
Wenn wir jetzt mal die Aufstellung nehmen von ’97 gegen Juventus, zum Beispiel Kohler im Vergleich zu Hummels, wie sehen Sie den?
Henke: “Auf jeden Fall beides überragende Abwehrspieler, die sich beide auch jeweils auf die Situation und auf den Gegenspieler fokussieren konnten. Ich glaube, das zeichnet beide aus und bei Mats merkt man das auch, dass die Champions League sein Wettbewerb ist.
Ich finde es unglaublich, wie er sich in diese Spiele reinfrisst, in einem gewissen Alter, kurz vor Ende seiner Karriere und von daher ja schon irgendwo vergleichbar. Beide sind in der Lage, auch körperlich den Gegenspieler zu bearbeiten.
Natürlich muss ich auch sagen, also Jürgen Kohler ist für mich ein sensationeller Spieler gewesen, Mats Hummels ist spielerisch etwas stärker. Das setzen die Dortmunder ja auch bei ihrem Aufbauspiel ein. Aber ansonsten, in der Defensive, sind sie schon vergleichbar.”
Wie sieht es aus bei Füllkrug und Riedle?
Michael Henke: “Ja gut, das ist kein Geheimnis. Großen Respekt vor Füllkrug, aber das ist ja das, weshalb vielleicht Dortmund international nicht so ernst genommen wird, weil sie jetzt in der Offensive nicht die Raketen haben, wie zum Beispiel Real Madrid.
Trotzdem ist auch ein Füllkrug, das hat er jetzt oft genug bewiesen auch in der Saison, immer für ein Tor gut und vielleicht brauchen sie ja nur ein Tor. Ich könnte mir vorstellen, dass wirklich auch nicht so viele Tore fallen, weil Borussia weiß, sie bringt die Defensive zum Pott, nicht die Offensive.
Dementsprechend werden sie auch agieren und vielleicht reicht ja da wirklich ein Tor. Ich weiß es nicht.”
Wenn wir weiter kurz mal noch Vergleiche ziehen Möller und Sancho, oder wen haben wir dann noch aus der aus der 1997er Mannschaft, die Sie vergleichen würden?
Henke: “Andy Möller war natürlich ein überragender Schlüssel zum Erfolg, weil er einfach das Tempo im Spiel hatte. Da kann man schon Vergleiche auch ziehen. Die Dortmunder haben Tempo über die Außenposition, vor allen Dingen. Das macht sie sehr stark und sehr gefährlich, wenn sie ähnlich wieder spielen wie im ersten Spiel gegen PSG.
Vor allen Dingen das Heimspiel hat mir sehr gut gefallen, weil da sehr intensiv gespielt wurde. Man braucht einfach in der Offensive dieses Tempo. Da Dortmund eher übers Umschaltspiel kommen wird, haben sie da auch gute Möglichkeiten. Und wir haben damals unbedingt Andy Möller für diese Umschaltaktion gebraucht.”
Sie hatten dann Lars Ricken mit reingebracht. Wer ist der Lars Ricken in London?
Henke: “Das muss man abwarten. Wir haben da natürlich auch ein bisschen Glück gehabt, das ist ganz klar. Wobei, der Lars war dafür bekannt, dass er auch in der Bundesliga, als junger Spieler, immer wieder entscheidende Tore gemacht hat.
Man konnte ihn immer, vor allen Dingen auch in seiner Anfangsphase, als Einwechselspieler gebrauchen. Das hatte schon einen gewissen Vorlauf, vor dem Endspiel, aber wir standen ja dann stark unter Druck und dann bringen wir den Lars und er macht dieses fantastische Tor.
Da muss natürlich alles zusammenkommen, da muss man ein bisschen Glück haben. Ehrlich gesagt weiß ich jetzt nicht, wer das sein könnte bei Dortmund. Aber vielleicht kristallisiert sich ja am Abend des Endspiels plötzlich einer heraus.”
“Terzic wird sagen: Die Champions League ist unser Wettbewerb!”
In einem Wettbasis-Interview meinte Heiko Herrlich über dieses Endspiel einmal, in der Kabine, da war eine Atmosphäre, die schon auch fast beängstigend war. Was hat das Trainerteam genau gemacht in der Kabine, unmittelbar vor dem Spiel?
Henke: “Ottmar Hitzfeld war immer dafür bekannt, dass er die richtige Worte gefunden hat, dass er die Stimmung aufgenommen hat und dann hier und da noch ein paar kleine Tipps gegeben hat. Wobei diese Mannschaft, die hatte eine Struktur mit entsprechenden Leadern, wie Sammer, wie Kohler, da musste man nicht so viel sagen, sondern diese Stimmung hat man tatsächlich gespürt.
Die war aber nicht irgendwo erzeugt worden, durch ein Motivationsvideo oder irgend sowas, sondern die kam einfach aus der Mannschaft heraus. Ein bisschen natürlich begleitet von uns Trainern, um dieses große Ziel zu erreichen. Also die Mannschaft war elektrisiert und hat es dann geschafft, diese Spannung auch beizubehalten und von der Kabine auf den Platz zu tragen.
Man hat es schon beim Aufwärmen gemerkt. Erst hatten wir die Stimmung in der Kabine und dann hat man auch beim Aufwärmen schon gemerkt, wie fokussiert alle waren. Diese Rolle als Außenseiter war uns schon bewusst und trotzdem war jeder fest davon überzeugt, dass wir eine kleine Sensation schaffen können.”
Was würden Sie jetzt sagen, wie geht Edin Terzic ran? Wie schafft er es, da die richtige Atmosphäre zu kreieren?
Michael Henke: “Klar, er wird darauf hinweisen: Die Champions League ist unser Wettbewerb. Das wird er wahrscheinlich so formulieren.
Er wird darauf zu sprechen kommen, dass vor allem die Defensive die Erfolge gebracht hat. Ich glaube es sind nur neun Gegentore in zwölf Champions League Spielen, das ist überragend und er wird genau erklären, dass man keine Angst haben muss vor Real Madrid. Und sie brauchen diesen Spirit, wie im Spiel, vor allem gegen PSG.
Da war ich beeindruckt und den werden sie auch reintragen in dieses Spiel. Zum Thema Toni Kroos, da durfte ich die Anfänge miterleben in München. Als junger Spieler, da galt er als eines der größten Talente in Deutschland in seinem Jahrgang.”
Er kam ja aus Rostock, mit 15 oder 16 Jahren.
Henke: “Genau. Am Anfang galt er ein bisschen als faul witzigerweise, aber das hing damit zusammen, weil er immer schon überragend war und auch nicht so viel laufen und ackern musste wie andere.
Wenn man aber heute sieht, wie er die beiden komponenten miteinander verbindet, nämlich Laufen und Technik, das hat ihn zum Weltklassespieler gemacht. Und es ist genau der richtige Zeitpunkt, um dann nach der EM Schluss zu machen.”
Aber erklären Sie uns noch mal kurz den Charakter Toni Kroos. Der ist ja schon auch eigenwillig, der hat ja schon seinen Kopf, den er immer wieder auch selber durchsetzt.
Henke: “Ja, also er war gesund selbstbewusst, auch als junger Spieler. Das ist ja auch wichtig. Er war nicht devot, in diesem Umkreis von lauter Stars bei Bayern München, sondern wusste schon genau, was er wollte. Und so ist er aufgetreten, hat sich aber eingeordnet.
Man hat halt seine überragenden spielerischen Fähigkeiten vor allen Dingen gesehen, aber auch seine charakterliche Stärke, sich zu konzentrieren. Man hat ihn eigentlich nie erlebt, dass er irgend einen Blödsinn gemacht hat und dadurch seinen Fokus auf seinen Job als Fußballprofi verloren hätte. Also ich habe überhaupt keine Erinnerungen daran, dass er irgendwelche Flausen im Kopf hatte.
Hat er vielleicht schon auch gehabt, aber zumindest was die Arbeit beim Training, beim Verein anging und bei der Vorbereitung aufs Spiel, hat er sich dann kontinuierlich entwickelt. Und man hat dann halt schnell gesehen, welches herausragende Talent er hat.”
Aber würden Sie jetzt auch sagen, zu seinen Anfängen hat er nie eine Grätsche gemacht? Das sieht man ja jetzt auf einmal bei ihm.
Henke: “Genau. Nein, er hat sich auf seine spielerischen Dinge verlassen können, weil er das natürlich im ganzen Nachwuchsbereich auch nicht nötig hatte, weil er immer der Beste war, sage ich mal, in seinen Mannschaften als Jugendspieler.
Aber das musste er dann nachher noch erlernen, diese körperliche Komponente. Aber am Anfang hat er das einfach nicht nötig gehabt.”
Welchen taktischen Schachzug kann man denn jetzt wählen, damit Toni Kroos nicht spielentscheidend wird?
Henke: “Auf jeden Fall muss man näher dran sein im Mittelfeld. Wer das sein wird, weiß ich jetzt nicht oder eigentlich darf es auch nicht ein einzelner sein.
Man soll das zwar nicht über Raumdeckung regeln, aber es ist natürlich besser, wenn man Toni Kroos in den entscheidenden Räumen, so wie bei dem Tor, wo er den Ball da lang durchspielt im Zentrum, direkt unter Druck setzen. Denn er kann auch unter Bedrängnis sehr gute Pässe spielen, weil er nie die Ruhe verliert und auch einfach die Technik hat.
Nur wenn ich ihm natürlich so viel Platz lasse, wie das eben zu sehen war gegen Bayern München, dann kann ich ihn nicht verhindern. Also man muss ihn schon immer genau im Auge haben, wo bewegt er sich und von wo aus kann er den tödlichen Pass spielen.”
Es gibt jetzt ein paar Gerüchte über Adeyemi. Geht er, geht er nicht? Stört das die Vorbereitung?
Henke: “Solche Dinge können immer ein bisschen stören. Auf der anderen Seite gehört das zum Geschäft. Es gehört zum Fußball dazu, aber man wünscht sich natürlich, dass man in der Vorbereitung auf so ein Spiel solche Themen nicht hat.
Aber man weiß auch, dass es solche Themen gerade zum Ende einer Saison immer gibt. Wir hatten damals auch, als wir in München uns auf das Spiel gegen Juventus Turin vorbereitet haben, viele Themen über und im Verein, da die Saison auch ein bisschen holprig war in der Bundesliga und von daher kennt man das, glaube ich.
Der Verein kann damit umgehen und ich glaube nicht, dass es entscheidend sein kann, für Erfolg oder Misserfolg.”
Dann noch vielleicht die letzte Komponente bei diesem Spiel. Ist es ein Vorteil, jetzt im Wembley Stadion zu spielen oder ist es eher zu viel Gewicht?
Michael henke: “Nein, ich glaube, es ist eine wunderbare Geschichte. 2013 war ich auch dabei gegen Bayern München und das ist ein zusätzlicher Motivationskick für die Dortmunder, weil sie damals ja auch wirklich irgendwie unglücklich das Endspiel gegen Bayern verloren haben.
Und jetzt noch mal die Möglichkeit zu haben, nach über zehn Jahren an gleicher Stelle, wenn auch nicht gegen Bayern – das wäre natürlich ein Wahnsinn gewesen, wenn es zu dem Endspiel gekommen wäre – aber gegen Real Madrid die Champions League gewinnen zu können.
Das gibt noch mal einen Kick und zusätzliche Motivationsargumente, auch für den Trainer und für das Umfeld. Also ich glaube, es ist ein Vorteil, dass man jetzt wieder in Wembley die Möglichkeit hat, ein Champions League Endspiel zu spielen.”
Michael Henke, wie sieht demnach Ihr Ergebnistipp aus?
Michael henke: “Für mich ist das ein Fifty-fifty Spiel, auch wenn das in der Berichterstattung nicht so zum Tragen kommt.
Also ich habe nicht so viel Angst vor Real Madrid, auch wenn es beeindruckend ist, was sie immer wieder leisten. 2:1 für Dortmund.”
Sagen Sie uns Ihre Begründung, warum Sie keine Angst haben?
Michael Henke: “Ich glaube, dass Real Madrid ein bisschen überbewertet wird im Moment. Das ist auch eine Mannschaft, die so ein bisschen alternde Stars drin hat und vielleicht auch über diese Favoritenrolle stolpern könnte.
Okay, ich gucke da ein bisschen auch in die Vergangenheit. 1997, wie gesagt, war es ähnlich, wo wir am Anfang schon drüber gesprochen haben.
Ich glaube einfach, Dortmund wird sich auf die Defensive konzentrieren, hat aber auch Möglichkeiten, über schnelle Spieler wie Adeyemi nach vorne und wenn sie das taktisch in den Griff kriegen, dann machen sie zwei Tore, wahrscheinlich im Umschaltspiel und Real Madrid vielleicht nur eins. Deshalb 2:1 für Dortmund.
Vielen Dank Michael Henke, wirklich ganz großes Kino für das Champions League Endspiel.
Michael Henke: “Immer gerne. Bis bald.”
Interview: Carsten Fuß