Nach dem völlig unerwarteten Pokalaus in Saarbrücken treffen die Bayern am Samstagabend auf Borussia Dortmund. In der Liga sind beide Vereine noch ungeschlagen, womit ein echtes Topspiel auf uns wartet.
Mit der Wettbasis sprachen wir deshalb im Format “Beidfüßig” mit einem Gast, der sich auf beiden Seiten bestens auskennt: Michael Rummenigge, Ex-Profi vom BVB und den Bayern.
Das Gespräch wurde bereits am Morgen vor der Pokal-Sensation geführt. Dennoch gibt es spannende Themen von der aktuellen Form, Dortmunder Chancen und die wichtigsten Personalien auf beiden Seiten.
Rummenigge zum Klassiker: “Zeit, dass der BVB einen Big Point setzt”
Wettbasis: Einen besseren Experten hätten wir uns nicht wünschen können. Hallo Michael Rummenigge, wie geht es Ihnen?
Michael Rummenigge: Alles gut, vielen Dank.
Es ist ein Spiel, das natürlich alle elektrisiert und was Sie selber mehrfach natürlich auch erlebt haben. Was ist für Sie im Moment der Hauptpunkt bei diesem Spiel?
Das ist ja eigentlich immer der Klassiker in Deutschland schlechthin. Wenn man sich aber die gesamte Saison mal anschaut, mit beiden Mannschaften und mit all jenen, die da mit oben sind, dann ist es ja so, dass es nicht viele Mannschaften gibt, die noch kein Spiel verloren haben. Und das sind Dortmund, Bayern und Leverkusen. Wir haben ja in den letzten Wochen und Monaten gesehen: Die Bayern tun sich zwischendurch mal schwer, haben aber schon gegen zwei Spitzenmannschaften gespielt, gegen Leverkusen und gegen Leipzig, da auch nur unentschieden gespielt.
Und jetzt kommt der dritte Große ins Spiel, Borussia Dortmund, der ja eigentlich der Hauptkonkurrent ist über die letzten 15, 20 Jahre, oder noch länger. Das Spiel ist in Dortmund, von daher bin ich mal gespannt. Der letzte Dortmunder Sieg übrigens war 2018, auch an einem Samstagabend. Es wäre mal wieder an der Zeit, dass der BVB hier auch einen Big Point setzt.
Aber die Bayern sind ein bisschen unberechenbar, wie man ja gesehen hat, jetzt auch wieder gegen Galatasaray Istanbul und auch gegen Darmstadt muss ich sagen. Gegen Galatasaray, was ungewöhnlich ist, hatten die Bayern weniger Ballbesitz. Sie gewinnen das Spiel am Ende, aber trotzdem. Gegen Darmstadt habe ich mir verwundert die Augen gerieben. Ich hatte nur die erste Halbzeit gesehen, eigentlich ein ausgeglichenes Spiel und dann der Endstand, 8:0.
Also, das ist Bayern, das ist Bundesliga, und darum ist es auch ein bisschen verrückt und faszinierend zurzeit.
Michael Rummenigge vor BVB – Bayern: “Kimmich-Ausfall spielt keine große Rolle”
Jetzt fehlt Josua Kimmich, das ist ja so die Haupt-Personalie in diesem Spiel. Wie sehen Sie das? Es gibt einige, die sagen, na ja, vielleicht ist es sogar besser so, weil er aktuell nicht so in Form ist.
Naja, die Haupt-Personalie würde ich mal nicht sagen bei Bayern München. Die haben fünfzehn Topstars. Die Haupt-Personalie bei Bayern München ist momentan Manuel Neuer, dass er wieder da ist. Ich glaube, das hat alle sehr mitgenommen, das hat alle bewegt. Die ganze Liga, er ist wieder da.
Und Harry Kane aus meiner Sicht, das ist der Top-Stürmer mit in Europa. Das war der beste Deal, den die Bundesliga und Bayern München eigentlich machen konnten, das ist so eine Achse, die sich da gerade herauskristallisiert. Bei der Innenverteidigung bei Bayern muss man noch ein bisschen sehen, mit Kim, de Ligt und Upamecano. Aber ich denke, dass Thomas Tuchel da eine gute Lösung finden wird.
Er wird Konrad Laimer defensiv stellen als Sechser, wer dann neben ihm spielt, muss man sehen. Ob Goretzka wieder fit wird, weiß ich nicht. Aber die Bayern haben immer Lösungen. Der Kader hat zwar nicht die ganz große Breite, aber dafür sind die individuellen Spieler, die ersten Fünfzehn, top. Jetzt fällt so ein Kimmich aus. Das ist für ihn ein bisschen bedauerlich, aber ich finde, für Bayern München spielt das keine so große Rolle.
Wenn wir jetzt über Borussia Dortmund sprechen, das 3:3 in diesem sehr intensiven Spiel gegen Newcastle. Mit Sicherheit muss man das auch noch berücksichtigen. Hat der BVB gerade die Qualität die Bayern zu schlagen? Und da ist dann die Personalie Julian Brandt, die ich gesondert auch nochmal besprechen möchte.
Dortmund hat gegen Newcastle in exzellentes Spiel gemacht, wie ich finde. Eines der besten Spiele in dieser Saison, hatten in der Endphase der zweiten Halbzeit, kurz vor Schluss, natürlich ein bisschen Glück, mit zwei Lattentreffern von Newcastle. Aber Spielglück gehört auch dazu. Die Borussia hat ein Spiel erst verloren. Das war das 2:0 in Paris.
Wenn man sich dann anschaut, wie die Mannschaft gespielt hat in Newcastle, wie sie zurückgekommen ist in Frankfurt. Nach dem 2:0 habe ich schon ernsthafte Bedenken gehabt. 2:2 zurückgekommen, wieder hinten gelegen. Brandt machte vor dem 3:2 für Frankfurt nicht so einen glücklichen Eindruck, mit seinem Hackenball.
Man hat es bei der Reaktion von Mats Hummels gesehen, und dann kommt aber dieser Spieler, der zwischen Wahnsinn und Genie innerhalb eines Spiels alles bieten kann, und macht dann das 3:3. Auf super Vorlage von Adeyemi, dem man eigentlich viel mehr zutrauen muss. Wenn man gesehen hat, wie er den Ball mit rechts vorbei legt, mit links einpasst und Brandt den vollendet, dann sind das Waffen, die die Dortmunder eigentlich mehr nutzen müssen.
Es ist momentan noch so ein ausgeglichenes Spiel und ich würde auch eher auf ein Unentschieden tippen, weil die Bayern gegen Leipzig und auch gegen Leverkusen unentschieden gespielt haben. Aber bei Bayern München weiß man es halt nie, weil sie so eine individuelle Klasse haben. Leroy Sane auf einem Topniveau zurzeit und dann natürlich einer der besten Stürmer der Welt, Harry Kane. Auf den freue ich mich besonders am Samstag hier im Stadion.
Tuchels Trainer-Comeback nach Dortmund: “Ist ein kleiner Witzbold geworden”
Jetzt ist das ja auch eine Art von Comeback. Thomas Tuchel kommt zurück zu Borussia Dortmund. Klar, er war schon auch als Trainer von Paris schon mal wieder im Stadion. Aber, ist das eine Personalie, die bewegt?
Ich bin der Meinung, dass Thomas Tuchel hier in Dortmund sportlich einen super Job gemacht hat. Er ist als Pokalsieger gegangen – worden, kann man fast sagen. Sein erstes Spiel für Bayern hat er gegen Dortmund 3:0 gewonnen. Da, glaub ich, wusste er gar nicht, wie ihm geschieht, bei den Fehlern, die die Mannschaft gemacht hat.
Kobel beim 1:0, wir erinnern uns noch alle im April 2023. Bayern wusste auch, glaube ich, gar nicht, wieso sie dieses Jahr Deutscher Meister geworden sind. Das haben sie der Unfähigkeit der Dortmunder im letzten Spiel gegen Mainz zu verdanken. Aber Thomas Tuchel hier in Dortmund, die Leute wissen schon, was er fachlich und qualitativ drauf hat.
Es hat halt im zwischenmenschlichen Bereich mit Aki Watzke und Michael Zorc damals nicht gepasst, und wenn diese Dinge nicht passen, dann muss man sich trennen. Aber für die Entwicklung von Thomas Tuchel, der ja dann anschließend bei Paris war und dann mit Chelsea die Champions League gewonnen hat, hat das keinen großen Einfluss. Er ist sowieso ein eigener Typ.
Was heißt das genau, ein eigener Typ?
Ja, wenn man so die Kommentare auch jetzt wieder sieht. Uli Hoeneß hatte ja gesagt, im Winter oder im Sommer wird vielleicht wieder nachgelegt. Und dann sagt Thomas Tuchel, wie ich das gelesen habe: “Was meint er denn? Die Leberkäs-Semmel, oder meint er den Transfermarkt?” Er ist so ein kleiner Witzbold geworden, habe ich so das Gefühl. Man soll auch alles nicht so ernst nehmen, was da geschrieben wird und was da für Aussagen stattfinden, aber hat er gut gekontert, finde ich.
Werden Sie im Stadion sein, Herr Rummenigge?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mit meinem Bruder gestern auch telefoniert, der eigentlich zu gar keinem Auswärtsspiel mehr fährt, auch jetzt nach Dortmund nicht, aber der ja die Lage da auch top analysiert und weiß, was auf ihn in Dortmund zukommt. Hier in Dortmund zu gewinnen, ist nicht so ganz einfach. Ich weiß gar nicht, wann die Borussia das letzte Spiel in der Bundesliga zu Hause verloren hat. Ist wahrscheinlich schon etwas länger her.
Michael Rummenigge adelt Kobel als “besten Torwart der Liga”
Die letzte BVB-Heimniederlage ist schon fast ein Jahr her, das war im Herbst vergangenen Jahres. Dieses skurrile Spiel gegen Werder Bremen.
Genau, dieses 3:2, mit drei Toren innerhalb von sechs Minuten. Das ist schon eine lange Zeit für einen Klub. Und dazu das Stadion. Das ist immer so bei Borussia Dortmund, wenn die Leute sehen, die Mannschaft marschiert, die Mannschaft fightet, die Mannschaft will, dann stehen diese fast 82.000 dahinter, mit Ausnahme der Bayern.
Es ist nicht so einfach, in Dortmund zu gewinnen, und ich tippe auch eher auf ein Unentschieden. Ich hoffe auf ein torreiches Spiel, denn Tore sind immer das Salz in der Suppe. Es ist davon auszugehen, dass Kobel, der gegen Frankfurt rausgehen musste, auch wieder spielt. Der ist für mich momentan in der Bundesliga, weil Neuer sein erstes Spiel wieder gemacht hat, der beste Torwart der Liga.
Das wäre schon ein enormer Rückhalt für die Borussia, wenn er spielt. Mats Hummels auch. Für mich immer noch der beste Innenverteidiger der Bundesliga, und Nagelsmann hat völlig recht, ihn zu nominieren. Dortmund hat eine gute Achse, muss man sagen. Mit Kobel, mit Hummels, mit Reus in der Mitte und mit Can oder Özcan und vorne mit Füllkrug. Vielleicht spielt auch Moukoko, vielleicht spielt man auch mal mit Doppelspitze. Das würde man auch gerne sehen.
In der zweiten Halbzeit gegen Frankfurt, hat man auch mit Doppelspitze gespielt. Moukoko kam rein und hat ein Tor gemacht. Haller ist im Moment ein bisschen außen vor. Der uns im letzten Jahr in 17 oder 18 Ligaspielen neun Tore gemacht hat, der aber natürlich immer noch mit den Folgen seiner Chemotherapie und seiner Erkrankung zu kämpfen hat. Ihn muss man ein bisschen außen vor lassen.
Aber ansonsten ist Dortmund ganz gut aufgestellt. Es gibt wenig Verletzte im Team. Der Fundus kann ausgeschöpft werden. Ryerson kommt zurück. Also, da kann man schon frohen Mutes in das Spiel gehen.
Wunderbare Analyse, wirklich sehr detailliert. Habe ich das richtig verstanden, Sie haben mit Ihrem Bruder telefoniert und er wird auch kommen zum Spiel?
Nee, der kommt nicht, er fährt nicht mehr zu Auswärtsspielen.
Nicht mal in die Heimat? Ich meine, er kommt ja auch aus Lippstadt. Da wäre doch ein Motiv mehr zukommen.
Ja, wäre ein Motiv mehr, aber er fährt auswärts gar nicht mehr, hat er gesagt. Auch nicht Champions League, außer sie kommen ins Halbfinale oder Finalspiel, dann fährt er wieder Champions League. Aber ansonsten ist es natürlich bei jedem Heimspiel dabei, aber das tut er sich nicht mehr an. Er hat jetzt auch mittlerweile 68 Jahre, ist eigentlich vor zwei Jahren ausgestiegen, jetzt ist er wieder zurück im Business.
Der Verein läuft, alles haben sie im Griff, Uli und er und Christian Dreesen, auch mit dem neuen Sportdirektor. Christoph Freund macht einen wunderbaren, unaufgeregten, ruhigen, guten Eindruck. Das hat man auch selten in der Branche. Er ist auch gut aufgenommen worden von den Medien, von den Fans. Also, ich glaube, das war ein guter Entschluss, auch diesen Deal zu machen. Und die Bayern sind auf einem guten Weg. Aber im November ist noch keiner Deutscher Meister, Champions League-Sieger oder Pokal-Sieger geworden. Das dauert noch, das wird sich entscheiden im Februar oder März.
Kurz noch, was hat Ihr Bruder gesagt? Gewinnen die Bayern?
Mein Bruder will immer gewinnen. Das war damals schon auf dem Schulhof so, beim Vier-gegen-Vier, oder beim Tischtennis an der Tischtennisplatte. Für den gibt’s nur gewinnen, und das ist auch richtig, und diese Mentalität ist auch gut. Diese Mentalität habe ich ja, als ich 1988 zu Dortmund kam, auch mitgebracht.
Da bekämpfen wir uns manchmal ein bisschen, bekabbeln uns, machen blöde Sprüche, aber das ist ja normal. Ich wohne hier in Dortmund seit 1988, und er ist mittlerweile ein gestandener Bayer geworden, obwohl wir natürlich aus Ostwestfalen kommen. Aber da wird gefrotzelt, der wird Spaß gemacht. Für die 90 Minuten ruht auch die familiäre Geschichte, aber ansonsten sind wir da immer einer Meinung.
Vielen Dank, Michael Rummenigge. Es war großartig. Beste Grüße!
Vielen Dank, alles Gute.