Die Deutsche Meisterschaft 2006/07 prägte Timo Hildebrand mit seinen Leistungen für den VfB Stuttgart maßgeblich, was ihm natürlich auch Einsätze für das Nationalteam bescherte – u.a. war er beim Sommermärchen Teil des Kaders.
So weit wird es für Stuttgart diese Saison zwar nicht gehen, dennoch wachsen dort einige über sich hinaus und kommen dadurch in den Dunstkreis des DFB-Teams.
Im Interview bei Beidfüßig spricht Timo Hildebrand über die Chancen von Deniz Undav auf eine EM-Teilnahme, die Leistungen von Alexander Nübel, den Torhüter-Zweikampf beim DFB und wie weit es bei der Heim-EM gehen kann.
Timo Hildebrand über Felix Magath: “Nie wieder so fit gefühlt”
Wettbasis: Der VfB Stuttgart ist mit Sicherheit die Mannschaft der Stunde. Aktuell auch in der Bundesliga auf Platz drei, ziemlich gefestigt sogar. Wir haben eine VfB Stuttgart Legende zu Gast. Hallo Timo Hildebrand. Sie sind mit dem VfB Stuttgart lange Zeit unterwegs gewesen, und wenn man die Fans fragt, wissen die immer noch, was entscheidend war für die Meisterschaft, nämlich das Spiel gegen den VfL Bochum. Vorletzter Spieltag Parade von Timo Hildebrand.
Timo Hildebrand: “Wenn mich zehn Leute ansprechen, dann sagen acht, sie waren in Bochum. Und ich denke immer, irgendwann muss es mal aufhören. Also so viele Leute können gar nicht in Bochum dabei gewesen sein.
Aber anscheinend waren irgendwie alle da. Oder ich treffe einfach alle. Aber ja, es war mitentscheidend. Aber, ich glaube, meine VfB Zeit ist schon ein bisschen größer als nur dieses eine Spiel.”
Was auch nach wie vor in Erinnerung ist, ist Ihr Rekord 884 Minuten ohne Gegentor, 2003 war das. Können Sie das erklären?
Hildebrand: “Wie kann ich das erklären? Sowas holt man ja nie alleine. Man holt es ja auch als Mannschaft.
Klar, ich stand dann hinten drin und durfte praktisch dann noch den restlichen Abwasch machen, sag ich mal. Was dann damals Bordon und Meira vor mir noch nicht alles weggefischt haben.”
Philipp Lahm war auch dabei. Oder?
Hildebrand: “Philipp Lahm war dabei, Zvonimir Soldo als Sechser und Silvio Meißner, die haben eh immer alles abgeräumt und es war einfach eine sensationelle Zeit. Wir hatten da auch einen brutalen Lauf.
Felix Magath war unser Trainer, der hat uns brutal fit gemacht. Und ich glaube, so fit wie damals, habe ich mich auch noch nie gefühlt. Vorher und nachher nie. Das sind das alles so Komponenten, die dazu beigetragen haben, dass wir da wirklich von Anfang an, in dieser Saison, zu Null gespielt haben.”
Gibt es Parallelen zwischen dem Team damals, was sich ja dann auch entwickelt hat, zur Meister-Mannschaft. Also die jungen Wilden heute und diejenigen, die damals da waren.
Hildebrand: “Man versucht ja immer so Parallelen herbei zu ziehen, aber ich glaube es war einfach auch eine ganz andere Zeit. Mit ganz anderen Mitteln wurde damals gearbeitet. Wenn ich jetzt die Arbeit von Sebastian Hoeneß anschaue, was für ein überragender Fußball gespielt wird.
Also wie die Mannschaft auf dem Platz steht, Leverkusen irgendwie eine Halbzeit an die Wand spielt und auch gegen Top-Mannschaften, wie jetzt gegen Leipzig, souverän zu Hause 5:2 gewinnt. Also man muss schon sagen, das hat alles Hand und Fuß und wirkt brutal stabil. Deswegen finde ich, es ist einfach eine andere Zeit und das hat alles so seine Berechtigung.”
Hildebrand rät Alexander Nübel: “Sollte beim VfB bleiben”
Beim VfB ist nun ja auch einen Keeper, der im Fokus ist. Alexander Nübel. Wie beurteilen Sie ihn?
Hildebrand: “Gut. Es freut mich, dass er so eine stabile Saison spielt, dass die Fans ihn lieben. Wahrscheinlich wollen alle, dass er hier bleibt. Ich bin selber gespannt, was am Ende der Saison passiert, was ansteht.”
Was raten Sie ihm, als Keeper?
Timo Hildebrand: “Ich würde ihm raten, beim VfB zu bleiben. Wenn es nach ihm ginge, ich weiß nicht, wie hoch der Preis sein wird, was Bayern aufruft, aber ich glaube, der Verein und die Mannschaft sind auch dankbar, einfach eine stabile Komponente hinten drinstehen zu haben.
Obwohl hintendran noch ein Talent lauert, mit Dennis Simon, dem auch viele zutrauen, direkt ins kalte Wasser geworfen zu werden. Deswegen würde ich ihm raten, einfach eine lange Zeit beim VfB zu bleiben, um einfach über Jahre hinweg eine stabile Rolle in Deutschland zu spielen.”
Sie waren ja auch lange in der Nationalmannschaft und hatten auch diesen Zweikampf gegen Oliver Kahn, den wir aktuell wiedersehen in der deutschen Nationalmannschaft. Nämlich zwischen Manuel Neuer und ter Stegen. Wie sehen Sie die Situation?
Hildebrand: “Also die Situation geht ja jetzt schon länger, als damals bei mir. Aber klar, Manuel Neuer ist halt einfach eine Institution, auch in der Nationalmannschaft, obwohl er lange verletzt war.
Aber ich glaube, an Manuel Neuer kommt man einfach nur schwer vorbei. Das ist einfach bitter für Marc-Andre ter Stegen, den weltbesten Torhüter vor sich zu haben. Und mit der Situation muss er einfach auch klarkommen. Ich bin gespannt, was die nächsten Monate zeigen, wie der Bundestrainer sich entscheidet, wenn er dann ins Tor stellt.”
Sie haben diese Situation erlebt, ist die beflügelnd oder eher lähmend?
Hildebrand: “Für Marc ist es schwierig, damit umzugehen. Und einfach immer die Situation zu haben, zu wissen, er kann eigentlich so gut spielen wie er will und kommt einfach nicht vorbei.”
Also eher eine Hypothek. Aber wenn Sie jetzt das Torhüter-Spiel der beiden vergleichen, gibt es da Argumente gegen Neuer und für ter Stegen oder umgekehrt?
Hildebrand: “Ich glaube, da wurde schon so oft drüber diskutiert. Beide sind überragend, sind unglaublich stabile Torhüter und bringen seit Jahren schon konstante Leistungen.
Manu ist einen Tick offensiver wahrscheinlich, aber auch Marc spielt überragende Bälle hinten raus und sie sind beide stabil auf der Linie. Also ein komplettes Torwartspiel einfach, was man von beiden sieht. Deswegen braucht man keine einzelnen Komponenten da irgendwie zu kritisieren oder hervor zu heben.”
Die EM steht vor der Tür. Wen würden Sie als Mittelstürmer für die deutsche Nationalmannschaft aufstellen?
Hildebrand: “Das ist eine gute Frage. Schwierige Entscheidung. Deniz Undav ist überragend drauf. Ich weiß nicht, ob man ihn einfach reinwerfen sollte.
Niklas Füllkrug spielt in Dortmund eigentlich auch eine ganz gute Rolle. Lassen wir uns einfach mal überraschen.”
Hildebrand über EM 2024: “Fans können einen schon tragen”
Okay. Aber Sie sagen schon, Deniz Undav ist einer der Kandidaten. Warum?
Timo Hildebrand: “Es gibt einfach so Spieler, die haben jetzt einen Lauf. Vielleicht sollte man die einfach mitnehmen. Er hat noch kein Länderspiel. Das ist schon auch eine Hypothek, weil es einfach noch mal ein ganz anderes Niveau ist und auch vom Feeling her anders, in der Nationalmannschaft aufzutreten.
Da muss man auch erst mal seinen Platz suchen. Da hat Niklas Füllkrug einen Vorsprung. Aber Unbekümmertheit ist auch manchmal ein Argument. Deswegen spricht auch vieles für beide eigentlich.”
Aktuell sind ja viele hier skeptisch, was die Europameisterschaft betrifft und das Abschneiden der deutschen Mannschaft. Teilen Sie diese Skepsis?
Hildebrand: “Also ich kann es verstehen, warum die Leute skeptisch sind. Die Nationalmannschaft hat jetzt keinen guten Lauf von den letzten Turnieren her. Auch so waren die Leistungen in den Freundschaftsspielen nicht wirklich akzeptabel oder so, wie man sich das vorstellt.
Deswegen kann ich die Skepsis teilen. Aber natürlich hoffe ich auch, dass wir bei so einem Turnier anders auftreten.”
Was spricht denn dafür, dass wir anders auftreten? Was könnten denn die Argumente für eine gute EM sein?
Hildebrand: “Ich hoffe nur, dass die Mannschaft sich richtig findet, in der Vorbereitung. Dass ein ganz klares Gerüst da steht und das auch früh entschieden wird. Wer ist zum Beispiel im Tor, dass man ganz klar sagt, wer ist in der Innenverteidigung.
Wer sind einfach die Säulen in der Mannschaft, an denen die anderen sich orientieren können. Und dann kann einfach auch der Heimvorteil zum Tragen kommen. Mit den Fans im Rücken, mit dem Spirit, den ich selbst 2006 auch erlebt habe. Das kann eine Mannschaft schon tragen.”
Wir gehen als letztes mal kurz in ihre zweite sportliche Karriere, zum Ironman. Wie läuft es da gerade?
Hildebrand: “Den hab ich schon ad acta gelegt, als ich ihn beendet hatte.”
Wie viele haben Sie gemacht?
Timo Hildebrand: “Ich habe gar keinen Ironman gemacht. Ich habe nur die Halbdistanz gemacht, mit zwei, drei Monaten Vorbereitung, was auch relativ kurz war.
Ich wollte es einfach mal ausprobieren, es hat funktioniert, es hat wehgetan und war eine super Erfahrung. Ob es aber jetzt noch mal mache, weiß ich noch nicht.”
Das klingt eher zurückhaltend.
Hildebrand: “Naja, ich weiß, was es für eine unglaubliche Vorbereitung war. Also auch fünf Mal, sechs Mal Training in der Woche. Brutal zeitintensiv und auch mit Disziplinen, die ich so vorher noch nie gemacht hatte, in dieser Länge.
Also ich war schon mal ein bisschen Fahrradfahren oder auch mal laufen, aber ich bin noch nie neunzig Kilometer Fahrrad gefahren, geschweige denn zwei Kilometer geschwommen. Deswegen habe ich da vor allen Respekt, die das über Jahre auch machen und auch eine ganze Langdistanz durchziehen.”
Das heißt Fußballer sind einfach Weicheier?
Timo Hildebrand: (lacht) “Das wissen wir ja, oder?”
Ihre Unterschrift darunter: Fußballer sind Weicheier.
Hildebrand: “Ich würde es nicht gerne als Quote hier lesen, aber klar, wenn man andere Disziplinen anschaut, jetzt gerade die Triathleten oder auch Handballer. Das sind ganz andere Voraussetzungen.
Oder was für einen Aufwand Turner betreiben und so weiter. Ich glaube, da können sich die Fußballspieler immer eine Scheibe abschneiden.”
Perfekt. Vielen Dank, Timo Hildebrand. Wo landet der VfB am Ende der Saison?
Timo Hildebrand: “So weit oben wie möglich. Sie spielen überragend. Warum sollen sie es nicht mitnehmen? Klar hat es immer so die Gefahr, die darauffolgende Saison Doppelbelastung.
Ob die Mannschaft schon so weit ist. Aber warum soll man nicht diesen Lauf mitnehmen? Und bin selber gespannt, was am Ende dabei rauskommt.”
Interview: Carsten Fuß